Blog 22 Monate

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samoe
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Re: Blog 22 Monate

Beitrag von samoe »

Ja genau. Der Pflegedienst ist ja insbesondere nachts wichtig, da Josef immer beaufsichtigt werden muss wegen dem Absaugen.
Ganz davon abgesehen, dass man das seinem Kind nicht antun würde... Wäre es nicht sogar strafbar, ihn nicht abzusaugen und somit das Ersticken in Kauf zu nehmen?

Der Pflegedienst kann tlw die Entscheidung der Eltern nicht verstehen und mittragen, dass sie Josef sterben lassen wollen und nicht ihn um jeden Preis (Leben an Maschinen) weiterleben lassen wollen.
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Re: Blog 22 Monate

Beitrag von OrangerStier »

Ja wobei es mich da wundert das der Pflegedienst Nachts da so oft Hilfe benötigt bei nem Sauerstoffabfalk oder nem Krampf
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Re: Blog 22 Monate

Beitrag von Inkling »

Was wundert dich daran?

Es steht im Blog schön geschrieben, dass die Eltern zu Experten für ihr Kind werden (müssen). Natürlich kennen sie ihren Sohn am Besten, und können sicher in vielen Situationen schneller sehen welche Schritte nötig sind.

Ich weiß auch gar nicht wieso es hier einigen so wichtig ist, die Situation mit dem Pflegedienst doch recht kritisch zu hinterfragen. Was bringt das? Wir lesen bei 22Monate ein detailliertes und wahnsinnig liebevolles Tagebuch. Das ist per se subjektiv. Gerade weil vermutet wurde dass sie hier mitlesen, kann ich nur animieren, nur das zu schreiben und zu fragen was man die beiden auch face to face genauso fragen würde.
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Re: Blog 22 Monate

Beitrag von Melody »

Also aus meiner Sicht ist das kein kritisches Hinterfragen; eher eine Verständnisfrage.
Vermutlich wünscht oder hofft man auf einen sanften, friedlichen Tod ohne Schmerz, und bei allem anderen hilft man eben.
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Giraeffchen
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Re: Blog 22 Monate

Beitrag von Giraeffchen »

Josef war bis zu seiner Geburt ein gesunder Junge, durch Geburtskomplikationen erlitt er dann schwerste Schädigungen am Gehirn. Es dauerte einige Tage, in denen sich herauskristallisierte, wie schwer die Auswirkungen sein würden. Josef hatte unter anderem keinen Schluck/ Husten/ Niesreflex- Dinge, die wir vollkommen selbstverständlich und automatisch können. Seine Eltern wurden von der einen Minute zur anderen von einer Realität in die andere gestoßen und weil es in solchen Fällen keinen klassischen 'Krankheitsverlauf' gibt, wusste man auch nicht, wie es weitergehen würde. Ob Josef weiterleben konnte in dieser Situation. Es wurde doch viel mehr davon ausgegangen, dass Josef sehr bald sterben würde und die Eltern befanden sich in einem ständigen, emotionalen Ausnahmezustand,weil sie nicht wussten, ob ihr Baby am nächsten Tag noch da sein würde. Wieviele Momente mit ihm ihnen noch blieben. Als sie sich dazu entschieden, Josef von der Beatmung zu nehmen, taten sie das mit wenig Hoffnung auf weitere gemeinsame Zeit. Josef würde sehr wahrscheinlich sterben, weil er selber nicht atmen können würde, das waren die berechtigten Befürchtungen. Dass er dann selbständig atmete und weiterlebte, das hatte so doch niemand erwartet und auch ab da wusste niemand, wie es weitergehen würde. Würde Josef für ein paar Minuten atmen? Stunden? Vielleicht sogar Tage? Alles war immer Ungewissheit und höchster, emotionaler Ausnahmezustand. Es war ja klar, dass Josef sehr schwer betroffen war durch die Gehirnschädigung, viel schwerer noch als andere Kinder. Und trotzdem atmete er, lebte er, wuchs die Hoffnung auf gemeinsame Zeit. Ich glaube, es ist ungemein schwierig auch nur ansatzweise zu erahnen, was das bedeutet, wenn man als Eltern keine Hoffnung auf eine lange, gemeinsame Zukunft hat und immer in der Angst lebt, jeder Tag, jeder Atemzug könnte der letzte sein. Was es bedeutet, die Verantwortung zu tragen. Für das Baby, für seine Schwester, für sich selber und den Ehepartner, für ein geregeltes Einkommen und vor allem auch für Josefs Wohlergehen. Von hier auf jetzt die Verantwortung dafür zu tragen, dass das eigene Kind atmen kann, das ist doch unvorstellbar schwer. Atmen, so selbstverständlich. Und Josefs Atem war immer angestrengt, laut, wenn er wach war, er war nie selbstverständlich und dabei auf eine Weise präsent, wie Atem es eben aufgrund seiner vermeintlichen Selbstverständlichkeit sonst nicht ist.
Auch zwischen den Zeilen steht soviel, über das wir uns kaum Gedanken machen, mit einem gesunden Kind: Das Sekret muss immer fließen, dann geht es Josef besser. Immer fließendes Sekret heißt, es ist überall. Es ist immer Wäsche da, alle ziehen sich häufig um, es muss gewischt werden, all das zusätzlich. Gespräche mit einem wachen Josef im Raum sind nicht gut möglich, er atmet so laut. Später kommen die Anfälle dazu, die Medikamente dagegen. Selbst das bisschen vermeintlicher Alltag kämpft gegen diese Umstände und jeder als frei erlebte Moment wie das gemeinsame Baden, das Vorlesen von Clara, das Tragen im Tuch ohne Absaugen müssen, kleine Reaktionen auf die Logopädin, liest sich wie ein kleines Fest, ein Moment, der tief im Herzen festgehalten werden will.

Ich finde, Anne schreibt sehr deutlich, wie schwer viele Situationen waren und auch, wenn es einem Außenstehenden schwerfallen mag, alles genau nachzuvollziehen: Es ist Annes und Ulis Erleben gewesen. Sie haben die Situationen erlebt und nicht nur theoretisch darüber gelesen. Sie mussten innerhalb Sekunden entscheiden, mussten sich Sachen anhören, die sie zutiefst verletzten- all das macht etwas mit einem Menschen. Vor allem, wenn er ohnehin offen und verletzlich ist.
Schlimm ist, wie Anne und Uli damit allein gelassen wurden, wie sie immer wieder deutlich über ihre gezogene Grenze hinaus regelrecht angegriffen wurden. Wenn man als Eltern sein zutiefst schutzbedürftiges Baby beschützen möchte, dann treffen solche Angriffe jedesmal mitten ins Herz. Und seien sie auch gar nicht *böse gemeint* gewesen. Reflektiert und empathisch waren sie eben auch nicht.
Natürlich besteht die Gefahr, sich und sein Handeln besonders angreifbar zu machen, wenn man das eigene Erleben so ungefiltert und offen mitteilt. Aber es ging Anne und Uli ja wohl auch nie darum, über ihren Weg mit Josef diskutieren zu wollen, denke ich, sondern darum aufzuzeigen, wie betroffene Familien fühlen und leben. Ihre Wahrnehmung deutlich zu machen. Auch, um anderen Familien mttelfristig helfen zu können, wenn sich Verhalten dadurch ändern kann.
Es steht niemandem zu, zu urteilen, aber wie wertvoll wäre einfühlsame Begleitung gewesen! Wir Menschen müssen lernen, wegzukommen vom Urteilen. Wir wissen schlicht nicht, welcher Weg unserer wäre, wären wir in der gleichen Situation, aber ich bin sicher, jeder würde sich wünschen, einfühlsame Begleitung an seiner Seite zu haben.
Ich finde Annes Berichte sehr berührend und bin sehr dankbar dafür, dass sie es gewagt hat, sich ein weiteres Mal offen und verletzlich zu zeigen, sich angreifbar zu machen, um damit andere Menschen zu berühren und etwas zum Positiven zu verändern, für alle Menschen in ähnlichen oder auch ganz anderen Situationen wie ihrer. Und ich bin zutiefst beeindruckt von ihrer Liebe. Zu Josef, zu Uli, zu Clara. Zum Leben.
Liebe Grüße, GiraeffchenBild mit dem großen Knopf und dem Herbstwichtel


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wenn man sie nicht gebraucht."

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samoe
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Re: Blog 22 Monate

Beitrag von samoe »

Giraeffchen, einfach Klasse, dein Beitrag!

Sagt mal, geht es jetzt gar nicht weiter auf dem Blog?
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Re: Blog 22 Monate

Beitrag von Enni »

Doch, heute gab es einen neuen Beitrag. Morgen vor vier Jahren war die Beerdigung.
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blauelagune
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Re: Blog 22 Monate

Beitrag von blauelagune »

Danke Giraffchen!

Ich finde es sehr mutig, diese Texte zu veröffentlichen. Es werden ja auch einige damit nicht glücklich sein.


Mich hat der Blog wirklich beeindruckt. Für mich ist das so vollkommen jenseits meiner Vorstellungskraft. 22 Monate im totalen Ausnahmezustand. Was das wohl mit einem macht im weiteren Leben ...
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samoe
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Re: Blog 22 Monate

Beitrag von samoe »

Enni hat geschrieben: 20.10.2019, 21:25 Doch, heute gab es einen neuen Beitrag. Morgen vor vier Jahren war die Beerdigung.
Ach, jetzt habe ich es gesehen, danke.
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